Der zweite Teil hat den ersten fast noch übertroffen. Er war mein liebster, auch, weil er mein damals kindliches philosophisches Interesse anregte.
Factfulness: Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist
Guter Ansatz. Die globale Welt macht eine globale Bildung nötig, die die Dinge sieht, wie sie sind. Eigentlich trivial, aber noch lange nicht weit genug in den Bildungseinrichtungen etabliert. Statistik als Therapie haben wir alle nötig.
Das Buch hat leider kaum Reflexion über seine eigenen Prämissen und Werte, die dem eher optimistischen Blick auf die Welt zugrunde liegen. Hier liegt ein recht klassisches Fortschrittsdenken zugrunde, das aus dem 18. und 19. Jahrhundert kommt: Ökonomischer Fortschritt, technischer Rationalismus etc. wird zu einer „glücklichen Welt“ führen. Fragen der „Kultur“ fallen dabei unter den Tisch. Wer Kulturpessimist ist wird durch das Buch nicht glücklicher. Nur weil es mehr Gitarren gibt, mehr Kinofilme und wissenschaftliche Publikationen pro Jahr, heißt das nicht, dass es aufwärts geht mit Kultur und Wissenschaft. Hier wird implizit Quantität als einziger Wert vorausgesetzt.
Dennoch: Für den nicht-geistigen Bereich des Menschen kann man seinen Blick optimieren mit diesem Buch.
Das Buch befriedigt das Bedürfnis nach Halt durch naturalistische und mythologische Begründungen: Der Autor fundiert seine Argumente stets mit bio-psychologischen oder mythologischen Prämissen. Es werden also entweder psychologische und evolutionsgenetische Befunde genannt, oder die “Bibel” bzw. andere “archetypische”, mythologische Schriften.
Dies hat zuweilen etwas Erfrischendes. Endlich mal weg von dem weichgespülten Ratgeberzeug. Aber letztlich wirkte es dann doch arg gezwungen “episch” und pseudo-tiefsinnig: Das ständige Beharren auf die “Gefahr des schrecklichen Chaos” und das wir es bändigen müssen...
Insgesamt wirken die zwölf Regeln sehr willkürlich und alles ist unsystematisch und unstrukturiert. Die Regeln sind nur Anlass für spontane Gedankenausflüge des Autors. Die fehlende Offenlegung der letzten Prämissen (die man somit selbst heraus kristallisieren muss) wird nur überdeckt durch den gezwungen-epischen Tonfall des Buches, der als Glasur über allem liegt.
Es ist also schön mal etwas anderes als den üblichen Konstruktivismus zu hören. Letztlich ist das Buch aber kein Ausbruch aus dem bürgerlichen Zeitgeschehen, sondern eine bürgerlich-konservative Rückkehr zu den alten Dingen, die Halt geben: Bibel, Christentum, Mythologie. Der Naturalismus ist dann das moderne, wissenschaftliche Äquivalent dazu – die “Rückkehr zur Natur”.
Die Geisteshaltung ist letztlich eine liberal-konservative: Es darf wieder Mann und Frau als primäre Kategorien geben, außerdem die Kernfamilie und die Religion. Der Mensch kann wieder durch die Natur geprägt sein, Wettbewerb ist gut, Kinder brauchen Grenzen (gegen den Hang zum Antiautoritären) etc... Alles irgendwie am Leitfaden der Unterscheidung von Ordnung und Chaos - nicht wirklich hinreichend begründet, sondern, wie gesagt, rhetorisch überdeckt.
Es könnte sich lohnen das Buch genauer zu analysieren, um zu sehen, was es über den Zeitgeist und die Bedürftigkeit der Menschen aussagt. Aber den Zeitaufwand ist mir das dann doch nicht wert.
Ich erinnere mich, dass mir der dritte Teil am schwersten fiel. Währen dich bei den Vorgängern gar nicht aufhören konnte zu lesen, war es hier stückweise “Arbeit”. Gleichwohl hat mich das Ende wieder sehr gefesselt. Ich weiß noch, dass ich die politischen Probleme dieses Bandes sehr ermüdend fand. Ich weiß allerdings überhaupt nicht, wie ich heute dieses Buch lesen würde. Vielleicht würde ich gerade den dritten Band heute spannender finden, als ich das als Jugendlicher vermochte.
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